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  • Reichsprogromnacht 1938

       
  • von links: Wetterhahn, Weichsel, Westheimer, Weichsel

    "Die Schreie der Juden waren im ganzen Dorf zu hören."


    Wie an vielen Orten Deutschlands kam es auch in Rimbach/Odw. in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu Ausschreitungen gegen die ansässigen Juden. Während sich in zahlreichen anderen Fällen diese sogenannte Judenaktion auf Demolierungen von Wohnungseinrichtungen und dergleichen beschränkte, wurden hier die Juden in ganz unmenschlicher Weise gequält und misshandelt.

    Am Abend des 9. November fand zunächst die übliche Gedenkfeier der NSDAP und ihrer Gliederungen zum Jahrestag des Hitlerputsches am 9.11.1923 in der Gaststätte „Zum Weschnitztal“ statt. Die Gedenkrede vor den in Uniform zahlreich erschienenen Volksgenossinnen und Volksgenossen hielt der Rimbacher Ortsschulungsleiter und Rektor der Volksschule, Heinrich Jeckel. Unter den Anwesenden wurde gehetzt und davon gesprochen, es müsse gegen die “jüdischen Verbrecher“ etwas geschehen. Begründet wurde dies mit dem tödlichen Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter Ernst vom Rath in Paris durch den 17jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan. Gegen Ende der Parteiversammlung wurde der Befehl von „ganz oben“ weitergegeben, sich um 24 Uhr auf dem Schulhof der Realschule einzufinden, doch unbedingt in Zivil, denn man wollte die ganze Aktion als spontane Racheaktion der Rimbacher Bürgerinnen und Bürger aussehen lassen.

    Pünktlich um 24 Uhr versammelten sich ca. 80 SS- und SA-Männer in Zivil einschließlich nicht organisierter Ortseinwohner auf dem Schulhof der heutigen Martin-Luther-Schule. Die Männer wurden von dem seit dem 20.8.1936 im Amt befindlichen NSDAP-Ortsgruppenleiter Peter Trautmann in Gruppen mit konkreten Aufträgen losgeschickt. Ein Trupp zog zur Synagoge, der heutigen katholischen Kirche und zerstörte dort mit Beil und Knüppeln vollständig die gesamte Inneneinrichtung, die später verbrannt wird. Drei Kristallleuchter und wertvolle sakrale Gegenstände werden zerstört oder verschwinden für immer in dieser Nacht. Die anderen Trupps, unter Beteiligung von Wilhelm und Ludwig Geist, Fritz Falter, Peter Sattler und anderen, zogen zu den im Ort noch bewohnten 11 jüdischen Häusern:

    1. David Weichsel (Staatstraße 16)
    2. Max Weichsel (Gymnasiumstraße 13)
    3. Leo Wetterhahn (Rathausstraße 13)
    4. Jakob Westheimer (Rathausstraße 9)
    5. David David (Rathausstraße 1)
    6. Hermann Oppenheimer (Rathausstraße 1)
    7. Alfred Weichsel (Brunnengasse 6)
    8. Berthold Marx (Brunnengasse 15)
    9. Moses Mayer (Fahrenbacher Straße 4)
    10. Rudolph Hamburger, (Fahrenbacher Str. 6)
    11. Henriette Aschenbrand (Fahrenb. Str. 11)

          Liste: Verurteilte Judenmisshandlungen      Dokument: Urteil Judenmisshandlungen 1938      Artikel: Die Schreie hörte man im ganzen Dorf

  • Foto: Alemannia Judaica (1985)

    Die Schändung der Rimbacher Synagoge

    Ein Trupp bestehend aus Georg und Wilhelm Altendorf, sowie Georg Schmidt XV. und Jakob Weber 3. zieht in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 vom Schulhof der damaligen Realschule (heute MLS) zur Synagoge. Sie haben vom NSDAP-Ortsgruppenleiter Peter Trautmann „unauffällig“ den Befehl erhalten, die Synagoge zu zerstören. Als die Gruppe dort ankommt, ist die Eingangstür bereits aufgebrochen. In und vor der Synagoge befindet sich schon eine größere Menschenmenge. Die Brüder Altendorf schlagen mit Beil und Knüppel auf das Inventar und die Fenster ein und zerstören mit den anderen eingedrungenen Männern die gesamte Inneneinrichtung, die später bei einer Sonnenwendfeier verbrannt wird. Die drei großen Kristallleuchter werden von der Decke gerissen. Wertvolle sakrale Gegenstände wie die Thorarolle verschwinden in der Nacht und tauchen nicht mehr auf. Die Straßenbeleuchtung in der Nähe der Synagoge ist während dieser Zeit wohlweislich demoliert, Nachbarn dürfen kein Licht in ihren Häusern anmachen und Posten fordern Neugierige zum Weitergehen auf. Später rückt die Bensheimer SS unter Führung des Erbprinzen zu Erbach-Schönberg an, um die Synagoge niederzubrennen. Der Befehl, die Synagoge in Rimbach zu sprengen oder in Brand zu setzen, wird nur deshalb nicht ausgeführt wurde, weil dadurch die Häuser von Nachbarn gefährdet sind. Karl Lucke, der Führer der Brigade 50, bekam am 10.11.1938 um 3 Uhr nachts folgenden Befehl: „Innerhalb der Brigade 50 (sind) sämtliche jüdische Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen. Nebenhäuser, die von arischer Bevölkerung bewohnt werden, dürfen nicht beschädigt werden. Die Aktion ist in Zivil auszuführen.“ Lucke meldet am 11.11.1938 u.a.:

    Es wurden durch Brand zerstört:

    Synagoge in Bensheim

    Synagoge in Heppenheim

    Synagoge in Birkenau

    Die Inneneinrichtung wurde vollständig zerstört:

    Synagoge in Rimbach.

    Der ehemalige Rimbacher Jude Fred Oppenheimer schrieb am 21.11.1986 an Wolfgang Gebhard dazu: „Das Gebäude ist aus Sandstein gebaut. Es konnte nicht gesprengt werden, da sonst Schuckmann‘s Haus in die Luft gepflogen wäre.“ Am nächsten Tag kam die noch heute in Rimbach lebende, damals 9-jährige Renate Schmitt auf dem Weg zur Schule an der Synagoge vorbei. Sie sah, dass man die großen Kristallleuchter herausgerissen und mit den zerstörten Möbeln auf die Straße geworfen hatte. Einen damals mitgenommenen Glaskristall hat sie bis heute aufgehoben. Nach der Pogromnacht wur-de die jüdische Gemeinde aufgefordert, die Instandsetzung der Synagoge selbst zu bezahlen. Die noch bestehenden sechs jüdischen Rimbacher Geschäfte mussten schließlich ihre Betriebe bis zum 31. Dezember 1938 einstellen.

    Ein Kaufpreis wurde nicht gezahlt

    Am 10. November 1938 wurde die noch in der vergangenen Nacht misshandelten Vorstandsmitglieder der jüdischen Gemeinde David Weichsel, Max Weichsel und Leo Wetterhahn (für Jakob Westheimer) gezwungen, die Synagoge an die Gemeinde, für null Reichsmark zu verkaufen. Bürgermeister Peter Treusch I., der für die Gemeinde beim Notar erschien, freute sich: „Ein Kaufpreis wird nicht gezahlt:“ heißt es unmissverständlich im Kaufvertrag. Die Gemeinde nutzte die Synagoge fast ein Jahr als Feuerwehrgerätehaus. Dann verkaufte sie die das Gebäude am 19. Oktober 1940 für 2600 Reichsmark an den Rimbacher Adam Schuster, der die Räume als Lager für „Kraftwagen“ nutzte.

       Liste: Verurteilte Zerstörung der Synagoge     Dokument: Urteil Zerstörung der Synagoge

        Artikel: Ein Kaufpreis wurde nicht gezahlt

  • Als die Synagogen brannten

    Die Reichspogromnacht 1938 im Kreis Bergstraße

    „Von den Geschehnissen in Rimbach wird im Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 6. Januar 1949 berichtet:
    Am Morgen des 9. November 1938 erschien der SA-Führer des Ortes Rimbach, der inzwischen verstorbene Sturmführer T., bei dem Angeklagten T. (damaliger NS-Ortsgruppenleiter) und teilte diesem mit, er habe von der vorgesetzten SA-Führung den Befehl erhalten, in der kommenden Nacht die Judenschule in Rimbach in Brand zu setzen und die jüdischen Einwohner zu belästigen.
    Trotz der Einwände, die der Angeklagte T. erhob, beschloss T. die Aktion durchzuführen, mit der Begründung, er könne den Befehl nicht verweigern. Am Abend desselben Tages fand gegen 20 Uhr eine Gedächtnisfeier der NSDAP und ihrer Gliederungen statt, aus Anlass des Marsches zur Feldherrenhalle im Jahr 1923. Diese Versammlung wurde von dem Angeklagten T. eröffnet und geschlossen. Der Angeklagte J. hielt die Gedächtnisrede. Nach Schluss der Feier wurde der Tod des Legiationsrates vom Rath bekannt.
    Gleichzeitig wurde die Parole …

  • Gewalt im November 1938

    Die Reichskristallnacht: Initial zum Holocaust

    von Wolfgang Benz

    „… In Rimbach im Odenwald nahmen die Ereignisse einen wohl typischen Verlauf. Am Abend des 9. November fand eine NSDAP-Versammlung im dörflichen Wirtshaus statt, bei der der Ortsgruppenleiter zur Misshandlung der Juden und Zerstörung ihres Eigentums aufforderte. Um Mitternacht fanden sich die Teilnehmer auf dem Schulhof ein, wurden vom Ortsgruppenleiter in Gruppen eingeteilt.
    Eine dieser Gruppen bestand aus sechs Mann im Alter zwischen 24 und 41 Jahren. Zum Rädelsführer hatte sich ein 37-Jähriger gemacht, die Männer zogen dann zum Haus der jüdischen Familie Weichsel, umschlichen es eine Zeit lang, erbrachen dann Vorder- und Hintertür und holten das Ehepaar Weichsel aus den Betten. Während der Ehemann nach schweren Misshandlungen ins Freie flüchtete, wurde die Frau, nur mit einem Nachthemd bekleidet, mit Wasser bespritzt, dann stellten drei Männer sie auf den Kopf, 'schlugen ihr mit einem Besen zwischen die Beine und schütteten Wasser dazwischen'.
    Einer der Täter rühmte sich später, …